Georg-Christoph Lichtenberg

Dr. Peter Kasten

Georg-Christoph Lichtenberg und die Naturwissenschaften

Für seine Zeitgenossen war er einer der bekanntesten Physik-Professoren, der an der jüngsten und fortgeschrittensten deutschen Universität in Göttingen lehrte. Er wohnte im Haus des Verlegers Dieterich in der Gotmarstraße und hielt dort seine Experimentalphysik-Vorlesungen vor etwa 100 Studenten von 1770 bis zu seinem Tod 1799. Grundlage war das zuletzt von ihm herausgegebene Kompendium seines Lehrers Erxleben mit dem Titel „Anfangsgründe der Naturlehre“.

„Man muss etwas Neues machen, um etwas Neues zu sehen“.
Dabei stellte der Skeptiker Lichtenberg fest: „Alle Gesetze, die wir in der Natur finden, sind trotz ihrer Schönheit immer verdächtig. Wir sehen in der Natur nicht Wörter, sondern immer nur Anfangsbuchstaben von Wörtern. Wenn wir alsdann lesen wollen, so finden wir, dass die neuen Wörter wiederum bloß Anfangsbuchstaben von anderen sind“.

Im 18.Jahrhundert standen spektakuläre Elektrisierversuche mit riesigen Maschinen im Mittelpunkt des Interesses. Lichtenberg entdeckte 1777 die später nach ihm benannten Staubfiguren auf einer Harzplatte (Elektrophor). Er erzeugte zwei verschiedene Typen von Staubfiguren. Diese brachten ihn 1778 dazu, sie zur Kennzeichnung des Ladungszustandes mit mathematischen Symbolen + E und – E zu benutzen. Damit fasste er die verschiedensten Arten der Elektrizität in einer noch heute gültigen Form zusammen.
Eine Nutzanwendung seiner Erkenntnisse sah er in der Ableitung der Gewitterelektrizität durch Blitzableiter. Dieser wurde schon 1752 von Benjamin Franklin vorgeschlagen und zum ersten Mal in Deutschland 1780 an Lichtenbergs Gartenhaus in der Weender-Landstraße angebracht. Sehnsüchtig wartete er auf die ersten Gewitter, die die Wirksamkeit seines „Furchtableiters“ beweisen sollten. Dieser sollte sein Haus ebenso schützen wie „ der Schädel sein Gehirn oder der Helm den Feuerwehrmann“. „Dass in den Kirchen gepredigt wird, macht deswegen die Blitzableiter auf ihnen nicht unnötig“.
Einige Jahre später begann sich Lichtenberg mehr für die „merkwürdigen Luftarten (heute Gase)“ zu interessieren. 1783 war die Zeit reif für den Bau „der aerostatischen Maschinen“, den Gasballons. Der Engländer Cavendish entdeckte 1766 den Wasserstoff, das leichteste Gas. Er konnte um 1781 zeigen, dass bei einer Knallgasexplosion aus Wasserstoff und Sauerstoff Wasserdampf entsteht. Das brachte Lichtenberg dann zwei Jahre später dazu, erstmals Seifenblasen mit Wasserstoff zu füllen und sie an der Decke seines Hörsaals mit einer Kerzenflamme zur Explosion zu bringen. Damit wurde der „schläfrige Student geweckt“.
In Frankreich stiegen zunächst Heißluftballone und danach auch mit Wasserstoff gefüllte Kugeln aus Taftseide mit einem Durchmesser von bis zu 12m auf. Professor Charles erreichte damit am 1.12.1783 eine Höhe von 3000 m. Als die ersten Meldungen über diese Flüge in Göttingen eintrafen, verstärke Lichtenberg seine Ballonversuche. Am 17.12.1783 startete er einen 180 cm großen Ballon von seinem Balkon. Damit wollte er die Entstehung von Gewittern erforschen. Sein Traum blieb der bemannte Flug. Als ihn der berühmte Physiker Alessandro Volta im Oktober 1784 besuchte, konnte er ihm einen Ballon mit nur 45 cm Durchmesser mit einer Tragkraft von 80g vorführen. Als Ballonhülle benutzte er meist die schwer zu beschaffenen Harnblasen oder Fruchtblasen (Amnione) von Kälbern. Er probierte auch Taftseide, die mit einer Harzschicht abgedichtet wurde. Doch das Gas blieb nur kurze Zeit in seinen Ballons. Den Wasserstoff gewann er aus Eisenfeilspänen mit Schwefelsäure, wie es schon 250 Jahre vorher Paracelsus vorgeschlagen hatte. Auf seinem Balkon gelang ihm schließlich am 17.1.1785 eine Explosion mit einem elektrischen Funken durch eine „bombarda elektrika“ ( Volta ) auszulösen.
Während der Ballonflug in Frankreich zeitgleich mit der Revolution als ein Symbol für die Befreiung der Bürger empfunden wurde, blieben die meisten Deutschen daran uninteressiert. Nur Lichtenberg war begeistert, dachte weiter und beschrieb 1784 in seinen „vermischten Gedanken über die aerostatischen Maschinen“ etwa 25 mögliche Anwendungen des Ballonfluges, z.B. Untersuchung der Erdatmosphäre, Besteigung des Montblancs, Betrachtung eines Regenbogens als vollen Kreis.

„Die Welt muss noch nicht alt sein, weil die Menschen noch nicht fliegen können.“

Lichtenberg hat kein wichtiges physikalisches oder chemisches Gesetz gefunden oder gar ein wichtiges Lehrbuch geschrieben. Seine Bedeutung erklärt sich heute vielmehr durch seine skeptisch- analytische, in die Zukunft weisende Denkweise und seine auf Experimente aufbauende Lehrtätigkeit.

Sein Ratschlag für die Nachwelt:
„Warum die meisten Erfindungen durch Zufall gemacht werden müssen?
Die Hauptursache ist wohl die, dass die Menschen alles so ansehen lernen, wie ihre Lehrer und ihr Umgang es ansieht. Deswegen müsste es nützlich sein, einmal eine Anweisung zu geben, wie man nach gewissen Gesetzen von der Regel abweichen könne.
Es gibt vor Gott nur eine Naturwissenschaft. Der Mensch teilt sie in einzelne Kapitel und muss es tun in Anbetracht seiner Begrenztheit.“

Lebensdaten

Dr. Peter Kasten

Georg-Christoph Lichtenberg (1.7.1742- 24.2.1799)

Lebensdaten eines Naturwissenschaftlers

1742 1.7. Geburt in Oberramstadt bei Darmstadt in Hessen
1763 6.5. Beginn des Studiums der Mathematik und Physik in Göttingen bei Prof. Kästner (1719-1800)
1765 24.10 Ernennung zum Kustos des akademischen Museums
1766 Beginn der astronomischen Beobachtungen in der Sternwarte Turmstraße
1766 Besuch von Benjamin Franklin in Göttingen
1767 13.4. L. und Erxleben registrieren Erdbeben in ihren Wohnungen
17.8. Ernennung zum Prof. für Mathematik und Englisch in Gießen
1769 3.6. Beobachtung des Venusdurchgangs vor der Sonne
1770 22.4. L. besucht Georg III. in der Sternwarte Richmond bei London
31.5. Georg III. ernennt L. zum außerordentlicher Professor für Philosophie
26.6. L. schreibt eine Betrachtung über Wahrscheinlichkeiten (Petersburger Problem), damit beginnt seine Arbeit als Mathematik-Professor
1770 Mai L. beobachtet einen Kometen und führt Messungen durch
1772 2.3. L. führt im Auftrag von Georg III. genaue Positionsbestimmungen in Hannover, Osnabrück, Celle und Stade bis Nov.1773 durch
1773 L. beginnt den Nachlass von Göttinger Astronomen Tobias Mayer (1723-1762) mit Mondkarte und Farbenlehre herauszugeben
1774 13.4. L. wird Mitglied der Göttinger Akademie der Wissenschaften
25.9. L. trifft bei seinem zweiten Besuch in London berühmte Wissenschaftler:
Joseph Black (Entdecker des CO2), Joseph Banks (Botaniker ), Deluc (Geologe), Priestley (Entdecker des Sauerstoffs), James Cook (Südsee-Entdecker), James Watt (Erfinder der Dampfmaschine), John Harrison (Uhr zur Längengradbestimmung)
1775 20.1. L. zum ordentlichen Professor für Mathematik ernannt
1776 14.10. Besuch des Schweizer Geologen Deluc
14.12. L. berichtet der Göttinger Akademie von seinen Landvermessungen
(1772/73) Text „observationes astronomicae“ erscheint, Beginn seiner Freundschaft mit Prof. Blumenbach (Medizin)
1777 Febr. Entdeckung der Staubfiguren, die später nach L. benannt werden
           Okt. Beginn seiner berühmten Experimentalphysik -Vorlesungen als Nachfolger von Prof. Erxleben
1778 Zwei Vorträge über Staubfiguren vor der Göttinger Akademie der Wissenschaften
           Aug. Versuche zur Luftelektrizität mit Hilfe von Drachen und Blitzableitern
1780 Zusammen mit Georg Forster wird L. Herausgeber des “Göttinger Magazins für Wissenschaft und Literatur“ bis 1785
25.5. Aufbau des 1.Blitzableiters mit Erdung am Gartenhaus Weender – Landstraße
1782 2.1. Ernennung zum Mitglied der naturforschenden Gesellschaft zu Danzig
19.1. Ernennung zum Mitglied der naturforschenden Gesellschaft zu Halle, L. entwickelt einen Luftkondensator zum Nachweis geringer Ladungsmengen, zahlreiche Experimente mit gasgefüllten Schweinsblasen
           Text „Kurze Geschichte einiger der merkwürdigsten Luftarten“
1783 28.9. Goethe besucht ihn
           Okt. Der Anatom und Naturforscher Soemmering besucht ihn für zwei Wochen
           Versuche mit Gasballons und Berichte über französische Ballonaufstiege
           Vorlesung „Über die Lehre von mancherlei Arten Luft“
1784 März Text „Vermischte Gedanken über aerostatische Maschinen“ erscheint
15.10. bis 22.10. Erster Besuch des Physikers Alessandro Volta (1745-1827)
            L. bearbeitet die 3. Auflage der „Naturlehre“ von Professor Erxleben. Hierin führt L. erstmalig die Symbole + und – für Ladungen ein. Mit den späteren Ausgaben 1787,1791 und 1794 wird es das wichtigste Physik-Lehrbuch im 18.Jahrhundert
1785 Juni zweiter Besuch von Volta
1786 Besuch des berühmten Astronom William Herschel (Entdecker des Planeten Uranus), Besuch von Lavater (Physiognom, Theologe)
1787 Herschel bringt bei seinem zweiten Besuch ein Spiegelteleskop mit
1788 15.9. L. wird zum Hofrat ernannt
1789 Text „Etwas von Herrn Herschels neuesten Entdeckungen“
28.9. Die Göttinger Universität kauft von L. seinen gesamten Gerätebestand und sichert damit seine Altersversorgung und die seiner Frau
1791 Beobachtung eines „schönen Meteors“
1792 L. verteidigt die sich später als falsch erwiesene Theorie seines Freundes Deluc über die Entstehung des Regens
1793 Jan. Besuch von Chladni, der seine Klangfiguren vorführt und eine Meteoriten-Theorie vorstellt
11.4. Ernennung zum Mitglied der Londoner Royal Society
           Briefwechsel mit Goethe über dessen Farbenlehre
           Texte „excerpta physica et mathematica“ erscheinen
1794 L. beschäftigt sich mit der modernen Chemie von Lavoisier, der sich gegen die verbreitete Phlogiston-Hypothese wendet
           Text „Über die Gewitterfurcht und die Blitzableitung“ erscheint
1795 Ruf an die Universität Leiden (Holland)
           Mitglied in der Petersburger Akademie der Wissenschaften
           Besuch des Physikers Thomas Young (Licht als Welle, Farbentheorie)
1796 Beginn mit der Biografie über Nicolaus Kopernikus
24.3. Mitglied der Societas Physica Japan
24.8. Mitglied der Societas Mathematik – Physik zu Erfurt
1798 23.3. Ehrenmitglied der Mineralogischen Gesellschaft in Jena
19.5. Mitglied der Wissenschaftlichen Gesellschaft in Harlem (Holland)
          Aug. Besuch des Geologen Deluc
1799 24.2. L. stirbt in Göttingen, Beerdigung auf dem Bartholomäus-Friedhof