Heinrich Detering: Was heißt hier ‚wir‘?

von Ingo Trüter

Zur Rhetorik der parlamentarischen Rechten

Was ist eigentlich „normal“ deutsch? Oder wie sieht deutsche „Normalität“ aus? Gibt es eine „deutsche Identität“? Kann eine Gesellschaft homogen sein? Gehört der Weihnachtsbaum zum Deutschsein? Das waren Fragen, mit denen sich Prof. Dr. Heinrich Detering im Rahmen seines Vortrags zur sprachkritischen Auseinandersetzung mit der Sprache der Rechten vor Schülern des 12. und 13. Jahrgangs auseinandergesetzt und sich hinterher ihren vielen Fragen gestellt hat – was zeigte, wie aktuell das Thema ist und wie es unter den Nägeln brennt.

Wörter wie „normal“, „Volk“, „deutsch“, „Kultur“, „Identität“ und „Wir“, zeigte Detering an vielen Beispielen auf, werden in rechter Rhetorik entfremdet. So werde „Identität“, beispielsweise, als etwas Festgelegtes, Starres, über viele Jahrhunderte Unwandelbares verwendet, obwohl sie gerade wandelbar sein sollte. „Deutschland ist so heidnisch wie die Merseburger Zaubersprüche, so evangelisch wie Martin Luther, so katholisch wie Joseph Ratzinger und so antichristlich wie Nietzsche, es ist so jüdisch wie Else Lasker-Schüler und so muslimisch wie Navid Kermani; Deutschland ist so mystisch wie Hildegard von Bingen und so aufklärerisch wie Immanuel Kant, so romantisch wie Eichendorff, so antiromantisch wie Erich Kästner und so sozialistisch wie Rosa Luxemburg; es ist so männerliebend wie August von Platen und so hetero wie Dieter Bohlen.“ Ein „Volk“, fasste er mit Rückgriff auf Jakob Grimm zusammen, sei eine Gruppe von Menschen, „welche dieselbe Sprache reden.“ Alles andere werde in dieser Sprache verhandelt.

Die Vorstellung der AfD, eröffnete eine Schülerin die nachfolgenden Fragen, wer „deutsch“ sei oder zum „Volk“ gehöre, sei widersprüchlich und unlogisch.

Eine kleine Auswahl der lebhaft gestellten Fragen:

„Sind Sie der Meinung, dass Manipulation durch Sprache im öffentlichen Raum stärker geregelt werden muss?“

„Kritische Analysen driften manchmal in eine elitäre Richtung ab, d.h. wenn wir über die Anfälligkeit gegenüber rechtpopulistischer Sprache sprechen, ist das ein Merkmal eines degenerierten Systems. Wie ist so etwas zu verhindern?“

„Einst positiv konnotierte Wörter werden von manchen Gruppen ins Negative gezogen, wie z.B. „Remigration“. Was sollen wir machen? Diese Wörter jetzt nicht mehr gebrauchen? Oder gerade deshalb umso mehr?“

„Haben Sie eine Vermutung, warum solche Sprache vor allem in rechten Parteien und auch in der Bevölkerung so einen Anklang findet?“

Sprachanalyse ersetze keine Gesellschaftsanalyse, betonte Detering am Ende seiner Antworten. Aber sie war extrem erhellend, sagte daraufhin eine Schülerin.

Uns an der IGS war dieser Vortrag ein Herzensanliegen, weil die Einsicht in rhetorische Figuren und Strategien im Wahlkampf elementarer Bestandteil politischer Bildung ist und damit eine Kernaufgabe der Schule. Besonders für diejenigen, die Ende Februar eine Wahlentscheidung treffen müssen, ist diese Erkenntnis zentral. Hierauf machte bereits Tanja Laspe in ihrer Anmoderation von Prof. Detering aufmerksam und verwies auf die vielen, unverfänglich wirkenden Slogans und Formulierungen, die sich im Wahlkampfauftakt der AfD, der Kür ihrer Kanzlerkandidatin und dem Auftritt Elon Musks bei der Amtseinführung des US-amerikanischen Präsidenten feststellen ließen. Trotz aller Sachanalyse und Information, die Schule liefern könne, müsse dann allerdings jede Schülerin und jeder Schüler als Erstwählende/r seine eigene Entscheidung als Werturteil und Wahlkreuz treffen.  Wir danken Herrn Prof. Detering für seine Zeit und seine Impulse.

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